INTERVIEW MIT CHRIS RAINBOW
 
Anlässlich der Veröffentlichung der CHRIS RAINBOW ANTHOLOGY 1974-1981
und im Vorfeld des neuen Albums IN A PERFECT WORLD:
Unser Interview mit Chris Rainbow.
Von Solowerken über die Zusammenarbeit mit Camel bis hin zu der mit dem Project
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eines außergewöhnlichen Künstlers


Fragen: Francesco Ferrua, Dario Pompili und Giorgio Rizzarelli
Interviewleitung und Einführung: Francesco Ferrua

Deutsche Übersetzung aus dem Englischen von Ingo Brönstrup

 


Den Fans des Alan Parsons Project ist der Name Chris Rainbow vor allem durch unvergessliche Gesangsbeiträge für das Duo Parsons-Woolfson bekannt: Chris‘ glasklare Stimme prägt die Lead Vocals von Stücken wie The Turn Of A Friendly Card, Gemini und Days Are Numbers und findet sich in vielen anderen Songs des Projects wieder: in unendlichen Schichten von Backing Vocals. Chris ist ein außergewöhnlicher Künstler, der auch mit vielen anderen Bands, wie zum Beispiel Camel, zusammengearbeitet hat. Und nicht zuletzt verfügt er über ein Solowerk, das sich durch faszinierende Melodien und Gesangsarrangements von einzigartiger Komplexität auszeichnet.

Gibt es eine bessere Gelegenheit, einen großartigen Künstler zu interviewen, als anlässlich der Veröffentlichung seines neuen Albums? Wir haben mit Chris zu der Zeit sprechen können, als seine neue und definitive THE CHRIS RAINBOW ANTHOLOGY 1974-1981 herauskam.
Neu, weil sie neben den besten klassischen (immerhin remasterten) Songs viele bisher unveröffentlichte Tracks enthält; und definitiv, weil sie laut Rainbows Plänen zumindest für einige Jahre sein letztes Best Of sein wird. Das Album vervollständigt damit die zuvor veröffentlichten BEST OF- und UNRELEASED & DEMO TRACKS-Alben, die immer noch auf dem japanischen Markt erhältlich sind.

Die CHRIS RAINBOW ANTHOLOGY 1974-1981 – eine Doppel-CD mit ausführlichem Booklet – wurde im Westen exklusiv von Vital Spark, dem Plattenlabel von Chris Rainbow, in einer limitierten Sonderauflage veröffentlicht. Die Doppel-CD kann direkt bei Chris (als signiertes Exemplar mit Widmung!) per E-Mail an chris@vitalspark.demon.co.uk zum Preis von 25 britischen Pfund (per internationaler Zahlungsanweisung oder in bar, Versandkosten im Preis inbegriffen) bestellt werden. Alternativ kann man die Doppel-CD auf http://www.theavenueonline.info oder per Kreditkarte bei Townsend Records bestellen, erreichbar über Chris' offizielle Website www.surf.to/chrisrainbow. Wir raten Interessenten zur Eile, da diese Veröffentlichung als limitierte Sonderedition für längere Zeit nicht mehr erhältlich sein wird!

Der Erlös aus dem Verkauf dieser Compilation wird dazu beitragen, ein größeres Projekt zu finanzieren, das Chris in diesem Sommer veröffentlichen möchte: IN A PERFECT WORLD, ein neues Album, das mehr als 21 Jahre nach Chris' letzter Solo-LP erscheinen wird.

Wir haben das Interview in drei Teile unterteilt: die Solokarriere, die Zusammenarbeit mit Camel und insbesondere die Zusammenarbeit mit dem Project und mit Alan und Eric als Solisten.

 


CHRIS' SOLO-ARBEITEN UND SEINE KOLLABORATIONEN
IM ALLGEMEINEN

PIPELINE: In Ihrer musikalischen Karriere waren Sie als Sänger, Keyboarder, Komponist und Produzent tätig. Welche dieser Aktivitäten hat Ihnen am meisten Freude bereitet?

CHRIS RAINBOW: Ich denke, die letzteren beiden Tätigkeiten haben mir die nachhaltigste Befriedigung bereitet, aber die unmittelbare Erfüllung, eine Multi-Harmony-Session im Studio zu machen, ist berauschend! Ich würde sagen, dass mir jede musikalische Tätigkeit außerordentliche Befriedigung verschafft, wenn sie für mich eine gewisse kreative Gestaltungsfreiheit beinhaltet.

P: Auf Ihren Alben gibt es viele ziemlich komplexe Gesangsarrangements. Schreiben Sie sie auf Papier nieder, entwickeln Sie sie während der Aufnahmen oder arbeiten Sie sie in Ihrem Kopf aus?

CR: Was meine eigenen Songs betrifft, fallen mir die Gesangsarrangements spontan ein, wenn der eigentliche Song fertig ist – alle meine Songs werden zuerst komponiert und die Harmonik kommt später im Studio. Es wird nichts aufgeschrieben, ich sitze am Klavier und erarbeite alle Nuancen, die im Detail behandelt werden müssen, aber hauptsächlich arbeite ich in der ersten Harmony-Session sehr schnell und nehme die Bänder dann mit nach Hause, um weitere Arrangements zu realisieren, die den Track verbessern könnten.
Bei Sessions anderer Künstler (z. B. dem APP) wurde mir im Gegensatz dazu der Titel präsentiert und ich habe dann innerhalb des Zeitrahmens dieser Session alle Backing-Vocals ausgearbeitet – ich denke mal, das ist einer der Gründe, warum ich so oft zu den Sessions eingeladen wurde. Ich bin in der Lage, sehr schnell Backing-Vocals zu komponieren und auch im Studio sehr effizient zu arbeiten.

P: Ihr Musikstil wurde hauptsächlich von Künstlern wie den Beach Boys, Brian Wilson, den Isley Brothers, Pat Metheny und Donald Fagen beeinflusst, aber Sie haben an Alben ganz unterschiedlicher Musikgenres mitgewirkt, Sie haben Radio-Jingles komponiert und wandten sich als Produzent auch dem Folk zu. Gibt es ein musikalisches Feld, das Sie noch erforschen möchten und wie würden Sie Ihre Musik definieren?

CR: Ja, ich würde sehr gerne Filmmusik machen. In den 80er Jahren habe ich einmal einen Beitrag für die schottische BBCTV-Serie Play For Today mit dem Titel The Lost Highway gemacht. Ich habe später versucht, eine Kopie meines Soundtracks zu bekommen, aber die Masterbänder gingen nach der Ausstrahlung der Show verloren. Typisch.
Einer meiner Lieblingskomponisten für Filmmusik ist Nino Rota. Ich besitze die meisten seiner Arbeiten für Filme, insbesondere zu denen von Fellini. Mein Favorit ist Giulietta Degli Spiriti (Julia und die Geister) – dieser inspiriert mich insbesondere. Ich habe den Film zum ersten Mal als Teenager in Glasgow gesehen und konnte ihn erst kürzlich auf Video kaufen. Nino Rota ist der meistunterschätzte Komponist weltweit.
Meine eigene Musik zu definieren ist sehr schwierig – das würde ich anderen überlassen. Ich würde nur sagen, dass es mir Spaß macht, Musik zu machen, um „die Stirnfalten zu glätten“.

P: In den 80ern haben Sie mit Camel getourt und waren kürzlich mit Donnie Munro unterwegs. Haben Sie in all den Jahren Ihrer Karriere auch an anderen Touren mitgewirkt?

CR: Ja, ich war bei verschiedenen Gelegenheiten mit Camel, Jon Anderson, Runrig und Donnie Munro auf Tour.

P: Mögen Sie die Live-Aktivität oder fühlen Sie sich im Studio wohler?

CR: Ich mag die „Live“-Aktivität, und man kann sie nicht mit der „Studio“-Aktivität vergleichen, weil beide unterschiedliche Arten der Befriedigung beinhalten. Wenn ich die Wahl hätte, bliebe ich im Studio.

P: In Japan wurden alle Ihrer alten Alben auf CD veröffentlicht. Gibt es Pläne, etwas Ähnliches im Westen zu tun?

CR: Ja, wie Sie wissen, veröffentliche ich die neueste Compilation im Februar. Dies wird eine Doppel-CD mit vollständiger Biografie und Fotos sein. Schicken Sie mir einfach eine E-Mail an chris@vitalspark.demon.co.uk und ich erledige den Rest. Die Kosten betragen 25 britische Pfund inklusive Versandkosten.

P: Ihr neues Werk IN A PERFECT WORLD erscheint in ein paar Monaten. Wer spielt gemeinsam mit Ihnen auf diesem Album?

CR: Die Musiker auf dem neuen Album werden hauptsächlich Künstler sein, mit denen ich in den letzten 30 Jahren zusammengearbeitet habe – die Liste ist lang. Ich werde es hier in meinem eigenen kleinen Studio aufnehmen, hauptsächlich mit meinem Assistenten Allan Cuthbertson, und Kontakt zu all den Musikern (auch Sängern!) aufnehmen, die auf jedem Album, an dem ich beteiligt war und auf dem mein Name steht, mitwirkten!

P: Haben Sie schon eine Promotion-Tour geplant?

CR: Ich habe noch nicht über eine Promotion-Tour nachgedacht; dafür wird VIEL Geld erforderlich sein und ich glaube nicht, dass das Album einen ausreichend hohen Bekanntheitsgrad erreichen wird, um eine Tour auf dem technischen Niveau, das ich benötigen würde, zu rechtfertigen. Aber vielleicht habe ich einfach Glück – man weiß ja nie!

P: Was wird IN A PERFECT WORLD mit WHITE TRAILS gemeinsam haben?

CR: Seit WHITE TRAILS sind 21 Jahre vergangen, und das Einzige, was das neue Album mit dem alten Material gemein haben wird, ist die Tatsache, dass noch viel mehr Gesangsharmoniearbeit zu leisten sein wird! Außerdem werden die Rhythmusspuren viel besser sein.

P: Ihre ersten drei Alben wurden von Polydor und EMI veröffentlicht, zwei der bedeutendsten Musiklabels weltweit. Kürzlich haben Sie allerdings Vital Spark gegründet, Ihr eigenes Label. Dies ist ein Schritt, den, wie in Ihrem Fall, viele andere Künstler gemacht haben und es ist offensichtlich, dass sich der heutige Musikmarkt sehr schnell verändert. Was denken Sie darüber und wie sehen Sie die Zukunft der Musik?

CR: Der heutige Musikmarkt ermöglicht es dem Künstler und seinen „Förderern“, unmittelbar miteinander zu kommunizieren. Ich kann meine Alben direkt an Leute verkaufen, die daran interessiert sind, ohne den Weg über Plattenfirmen/Plattenhändler/Plattenläden gehen zu müssen. Aus diesem Grund habe ich unter anderem auf meiner Webseite Links eingerichtet, um das definitive BEST OF und die UNRELEASED TRACKS OF CHRIS RAINBOW zu vertreiben. Ich kann direkt mit den Fans sprechen und ihnen meine persönliche Aufmerksamkeit schenken. Genau wie in der italienischen Renaissance, als Künstler direkt von ihren „Gönnern“ finanziert wurden und ihre Kunst speziell nach deren Geschmack schufen – ich mag diese Idee.
Die Zukunft dieses Systems, Musik zu kreieren und zu verkaufen, sieht gut aus, aber wir werden infolgedessen erhebliche Veränderungen in der Musikindustrie erleben.


Chris in seinem Heimstudio auf der Isle of Skye, 2001


DIE ZUSAMMENARBEIT MIT CAMEL

P: Der wunderbare Song The Cloak And Dagger Man ist ein echtes Gesangsjuwel. Das gesamte STATIONARY TRAVELLER-Album aus dem Jahr 1984 wird von vielen für das beste Werk von Camel gehalten. Welche Bedeutung messen Sie diesem magischen Jahr in Bezug auf Ihre Karriere bei?

CR: 1984 war ein gutes Jahr für mich, da ich an unterschiedlichen und abwechslungsreichen Aufnahmesessions beteiligt war. Ich wurde gebeten, in vielen verschiedenen Musikgenres mitzuwirken und musste die meiste Zeit im Studio schnell nachdenken, weil die Kunden nicht wirklich Stunden damit verbringen wollten, Harmonie-Arrangements oder Gesangskontrapunkte zu konstruieren. „Kontrapunkt“ war eine der wichtigen Lektionen, die ich durch „Osmose“ lernte, als ich Brian Wilsons Werk hörte. Als er am BEACH BOYS TODAY!-Album arbeitete, experimentierte er am Ende jedes Songs mit Kontrapunkten und verwandelte das Outro in ein eigenes Musikstück. Die Camel-Sessions beinhalteten nicht wirklich viele Harmonie-Kontrapunkte, aber ich denke, es war eine völlig andere Art von Rockmusik als das, woran ich zuvor gearbeitet hatte. Sie haben Recht, dass der Refrain in Cloak and Dagger Man dynamisch war, aber das war auch alles, was ich tun konnte, um den „Chris-Rainbow-Sound“ maximal einzubringen, ohne Andy (Latimer) und Susan (Hoover) zu beeinträchtigen. Ich habe die Camel-Jahre zwar wirklich genossen, aber ich denke, dass die Band in Großbritannien bereits einen guten Ruf hatte, als ich dazustieß. Es hat mich gefreut, dass Andy ein paar Jahre nach unserer letzten Tour seine Renaissance erlebte; er tat gut daran, nach Kalifornien zu ziehen.

P: A Heart’s Desire und Long Goodbyes zeigen Ihr außergewöhnliches stimmliches Können, beide Songs sind recht melodisch. Glauben Sie, dass Ihre Stimme besonders gut zu diesem Musikstil passt?

CR: Diese beiden Titel passten perfekt zu meinem Stil, und insbesondere Long Goodbyes ist einer der besten Songs, die ich je gesungen habe – es wäre auch ein toller APP-Track gewesen. Ich schreibe derzeit für mein neues Album und war immer versucht, Balladen dieses Genres zu schreiben, aber es ist gefährlich, das zu weit zu treiben, wenn man weiß, dass zu viele Balladen zu einem langweiligen Album führen – das nur gelegentlich aufgelegt wird.

P: Wir konnten Ihren mitreißenden und wunderbaren Auftritt bei PRESSURE POINTS – CAMEL LIVE sehen. Wie steht es mit Ihrer Beziehung zu Latimer und seiner Band, früher und heute?

CR: In der Vergangenheit haben wir für zwei Tourneen und Alben zusammengearbeitet und damals hat es gut funktioniert, aber Andy hat Camel und die Musik ständig neu definiert und ich denke, meine Zeit mit der Band, wie auch die der anderen Mitglieder, war zum Ende der letzten Tour vorbei. Ich habe seit einigen Jahren nicht mehr mit Andy kommuniziert – nicht aus irgendeinem negativen Grund – sondern nur, weil wir beide jetzt unterschiedliche Dinge tun. Ich würde selbstverständlich gerne noch einmal etwas mit Camel machen, bevor wir zu alt werden!! Vielleicht auf der Produktionsseite.......?

P: Auf Tour mit Camel haben Sie auch Keyboards gespielt, aber im Studio waren Sie immer nur Sänger. Warum haben Sie nicht noch eine weitere Rolle im Studio als Musiker (am Keyboard oder an der Gitarre) erhalten?

CR: Ich habe im Studio bei Camel nicht Keyboard gespielt, weil es weitaus bessere Musiker als mich gab, die den Job machen konnten. Kit Watkins und Ton (Scherpenzeel) waren fantastisch.

P: Sie sind nicht an den neuesten Camel-Produktionen beteiligt. Haben Sie sich RAJAZ, das letzte Camel-Album, angehört und wenn ja, was halten Sie davon?

CR: Um ehrlich zu sein, habe ich RAJAZ noch nicht angehört – ich muss mir irgendwie ein Exemplar besorgen! Ich habe nicht mehr mit Andy zusammengearbeitet, seit wir Mitte der 80er Jahre das Live-Video in Soho, London, gemischt haben. Ich hatte den Eindruck, dass die Musik zu diesem Zeitpunkt sowohl textlich als auch musikalisch eine düsterere Stimmung annahm, und rückblickend hätte es mir keinen Spaß gemacht, die meiste Zeit davon im Studio zu verbringen. Persönlich bevorzuge ich einen unbeschwerteren musikalischen Modus, doch Camel begann, sich mit den eher negativen Aspekten des menschlichen Daseins zu befassen.
Was ich ehrlich über Camel sagen kann, ist Folgendes: Ich habe von Andy viel über Live-Arbeit und Hingabe gelernt. Er ist einer der versiertesten britischen Gitarristen, die jemals auf einer Bühne standen, aber er wurde vom Musik-Establishment aus zahlreichen Gründen ignoriert, unter anderem wegen der Art des von ihm aufgenommenen Materials. Während der kurzen Zeit, in der ich mit ihm zusammenarbeitete, wurde er zu einem wahren Freund, und erst bei Soundcheck-Jams kam sein wahres Wesen zum Vorschein: Was für ein Musiker – und was für ein Rocker!! Ich erinnere mich, dass ich (während meiner ersten Tour mit Camel) dachte, dass das Publikum beim Soundcheck dabei sein sollte. Er ist ein Maestro. Er brachte mich auch auf Pat Metheny und von dort zu Lyle Mays – dafür danke ich ihm.


Chris im CBS Studio London, 1977


DIE BEZIEHUNGEN ZUM PROJECT, ALAN PARSONS UND ERIC WOOLFSON

P: Ihre Zusammenarbeit mit Alan Parsons begann 1979, als The Project bereits international erfolgreich war. Wie war es für Sie, als Sänger für das Alan Parsons Project eingeladen zu werden? Was hielten Sie von ihrer Musik, bevor Sie der Band beitraten?

CR: Ich fühlte mich geschmeichelt, als ich gebeten wurde, am EVE-Album vom APP mitzuarbeiten. Ich wusste überhaupt nichts über die Musik von Eric & Alan und es war Ian Bairnson, der mich für den Job vorschlug, weil er mit mir zusammengearbeitet hatte, als Pilot noch aktiv war und er auf meinem eigenen Album WHITE TRAILS spielte.
Ich flog erster Klasse zu den Superbear-Studios in Nizza, inklusive kostenlosem Champagner – ich war mir sicher, dass das bis dahin bereits ein guter Gig war. Mit einem enormen Kater aufgrund einer Albumveröffentlichung am Vorabend und ohne Reisepass kam ich dort an, was zudem dadurch erschwert wurde, dass ich auf Erics Bitte hin ein technisches Gerät schmuggelte. Bei der Zollanmeldung gestikulierte ich einem wartenden Eric und rief: „Hier ist die Ausrüstung, Eric!!“. Darüber und über den fehlenden Reisepass waren die Zollbeamten sehr amüsiert, was meinem Kater überhaupt nicht gut tat.
Als ich nüchtern und zerknirscht im Studio ankam, kämpfte Alan mit einem reichlich ineffizienten Ampex-Aufnahmegerät und wir hatten laufend zahlreiche Pannen. So lernte ich seinerzeit die Beteiligten und auch die Machtdynamik des Projects kennen.

P: Was genau meinen Sie mit „Machtdynamik des Projects“?

CR: Die „Machtdynamik“ beschreibt die persönliche Arbeitsbeziehung zwischen Alan und Eric und den Musikern. Alan und Eric neigten nicht dazu, sich als „Bandmitglieder“ zu sehen, sondern eher als Arbeitgeber (was zweifellos der Fall war), obwohl ich betonen muss, dass wir in den letzten Jahren, in denen ich involviert war, immer mehr zu Freunden wurden. Ich denke, sie haben die Integrität des Stils des Projects vor substantiellen äußeren künstlerischen Einflüssen beschützt.

P: Haben Sie unter den vielen Songs des Alan Parsons Project, bei denen Sie als Leadsänger tätig waren, einen Lieblingssong?

CR: Gemini, Since The Last Goodbye, Days Are Numbers.

P: Ihre Stimme kommt auf den Parsons-Alben sehr kristallin daher. Wir wissen, dass dies hauptsächlich auf Ihr Talent zurückzuführen ist, fragen uns aber auch: Inwieweit arbeitet Alan mit Effekten, um dies noch zu verbessern?

CR: Alan Parsons war (ist) der beste Toningenieur, mit dem ich je zusammenarbeiten durfte. Ich wünschte, er hätte auch all meine Solowerke aufgenommen. Ich habe mit meinen eigenen Mitteln bereits einen guten Gesangssound hinbekommen, aber seine Gesangsaufnahmen waren perfekt.

P: Ihre Gesangsdarbietungen sind so perfekt und doch so emotional. Denken wir zum Beispiel an Snake Eyes. Was haben Sie vor Augen, wenn Sie einen Song aufnehmen? Konzentrieren Sie sich auf den rein technischen Aspekt oder versuchen Sie, sich die im Text beschriebene Situation vorzustellen?

CR: Beim APP ist es meiner Meinung nach wahrscheinlich zu 50% technisch und zu 50% emotional. Erics Texte waren schon hervorragend, aber die Melodien waren eine Herausforderung – hören Sie sich einfach TOAFC an.

P: Hatten Sie, im Gegensatz zu uns Fans, die TTOAFC für einen sehr visuellen Song halten (wir meinen: Die leuchtenden Spielkarten, das blinkende Schild in der Wüste, auf dem „Vegas“ steht usw.), keine speziellen Bilder im Kopf, als Sie ihn sangen?

CR: Nein, ich hatte keine Bilder im Kopf. Das ist bei jedem Song, den ich singe, der Fall – sogar bei meinen eigenen. Ich singe um des Singens Willen, das heißt, ich singe, weil mir der Gesang an sich mehr Spaß macht als die Botschaft.

P: Wer hat im Project die Arrangements für die Backing Vocals entwickelt? Alan, Eric oder Sie? Oder war es Teamarbeit?

CR: Eric wusste, wo er die Haupt-BVs haben wollte, zum Beispiel im Refrain oder während einer zweiten Strophe. Während der Aufnahmen machte ich den beiden dennoch Vorschläge und sie entschieden, was sie haben wollten. Ich habe immer mehr aufgenommen als nötig, damit Alan beim Abmischen der Tracks die Wahl hatte.

P: Ihre Backing-Vocal-Tracks auf The Gold Bug sind sehr speziell, sozusagen vor allem die Lyrics. Können Sie uns dazu eine lustige Anekdote erzählen?

CR: The Gold Bug war der erste Titel der zweiten Seite auf TOAFC – ja? Es gibt keine Lyrics oder Worte auf diesem Track, nur „Ba-Ba-Bas“ und „Doo-Doo-Doodoos“, seid ihr Jungs auf erstklassigem italienischem Marihuana??!

P: Nein, wir sind auf italienischem Haschisch, möchten Sie etwas? Keine Sorge, wir stehen nicht unter Drogen! :-)

CR: Der Track wurde vor meiner Ankunft aufgenommen und Alan wollte ein paar Backing Vocals als Ergänzung für das Keyboard-Material. Im Nachhinein denke ich, dass die „Ba-Ba-Bas“ nicht sehr zweckmäßig waren – ich schätze, das war meine Schuld.

P: Aber wir finden Eure Backing Vocals bei The Gold Bug wirklich fantastisch! Warum würden Sie sie jetzt grundlegend anders arrangieren? Gibt es rückblickend andere Passagen, die Sie damals für Alan gesungen haben und die Sie jetzt, wenn Sie könnten, anders interpretieren oder stimmlich ausgestalten würden?

CR: Ja, natürlich würde ich viele Stellen jetzt anders interpretieren. Der Titel The Gold Bug, den Sie erwähnen – ich führe das auf jugendlichen Überschwang zurück! Es hätte subtiler sein sollen, als es tatsächlich war. Alan ließ mir immer freie Hand, wenn es um abstrakte Arrangements für den Hintergrundgesang ging, weil es das war, wofür sie bezahlten: Chris Rainbow.

P: Was haben Sie Ihrer Meinung nach vom Duo Woolfson/Parsons gelernt und was haben Sie wiederum den beiden beigebracht?

CR: Durch den materiellen Reichtum, den Eric und Alan in den 80er Jahren angehäuft haben, habe ich gelernt, wie finanziell erfolgreich aufgenommene Musik sein kann. Ich erfuhr, was für ein guter Toningenieur Alan war; seine Ausbildung bei Abbey Road war die beste der Welt, und er war von der „alten Schule“, da er ein echter „Balance-Ingenieur“ ist. Die wichtigste Lektion, die Eric mir beigebracht hat, war, nie mit ihm im Studio Karten zu spielen und relevante Texte zu schreiben, ohne abgedroschen zu klingen. Ich glaube nicht, dass einer von beiden viel von mir gelernt hat, abgesehen davon, wie schwierig es ist, einen guten und beständigen Backgroundsänger zu finden, der die Energie hat, acht Stunden lang ununterbrochen zu singen. Oh, und ich glaube, ich habe Eric das Zutrauen vermittelt, seine eigenen Songs zu singen – auf meine Kosten!

P: Haben Sie angesichts Ihres großen Talents als Autor jemals darüber nachgedacht, dem APP oder dem „Solo“-Alan einen Song vorzuschlagen, den Sie selbst geschrieben, arrangiert und gesungen haben?

CR: Diese Frage schmeichelt mir, aber ich schätze mich selbst als Autor nicht besonders hoch ein, sondern sehe mich eher als einen guten „Liedermacher“. Nein – das Songwriting beim APP war ausschließlich Erics Hoheitsgebiet und wurde von großen schwarzen, wilden Hunden bewacht. Die Solo-APP-Schreibarbeit (als Eric ging) wurden dann an Ian (Bairnson) und Stuart (Elliott) übergeben, und ich denke, Alan hat auch das eine oder andere geschrieben. Ich bin zu spät dazugestoßen, um noch einen eigenen Beitrag zu leisten, selbst wenn ich gefragt worden wäre.

P: Wie Sie sagten, war das Schreiben für das APP ausschließlich Eric vorbehalten. Meinen Sie auch die Instrumentals? Bekanntermaßen wurden die Instrumentalstücke von Alan komponiert (genauer gesagt, mit Ausnahme derjenigen, für die (Andrew) Powell verantwortlich oder mitverantwortlich zeichnete, sowie von Where's The Walrus? und der zweiten Hälfte von In The Lap Of The Gods, die von Eric geschrieben wurden). Wie sehr haben Andrews Orchesterarrangements Ihrer Meinung nach die Instrumentalstücke des Projects beeinflusst?

CR: Alans Abmachung mit Eric war, dass er mindestens einen Titel auf den Project-Alben haben sollte, damit er Tantiemen verdienen würde. Andrews Arrangements hatten keinen Einfluss, da die Instrumentals aufgenommen wurden, bevor er ins Studio kam, um sie sich anzuhören. Für Andrew war es einfach, Arrangements für diese Instrumentalstücke zu erstellen, da sie bei jedem Projekt in Bezug auf Akkorde und „Feeling“ (die Taktart) fast alle identisch waren.

P: Warum hat eine so erfolgreiche Band wie TAPP von Anfang an die Idee verworfen, live aufzutreten? Glauben Sie, dass hinter dieser Entscheidung jemand oder etwas Bestimmtes steckt?

CR: Ich glaube, Alan und Eric hatten Bedenken, auf die Bühne zu gehen, weil sie befürchteten, den originalen Sound nicht nachbilden zu können (auch ich war besorgt, meinen eigenen Sound live zu reproduzieren). Alan befürchtete auch, dass es seltsam aussehen würde, wenn er lediglich den Ton mischte und ich glaube, er hatte das Gefühl, dass es logistisch zu schwierig sein würde, von der Bühne aus zu mischen. Allerdings erzählen Lenny (Zakatek), Ian (Bairnson) und Stuart (Elliott) eine andere Geschichte, nachdem die Tour tatsächlich stattfand. Vielleicht sollte diese Frage besser an sie gestellt werden?

P: Es wäre naheliegend, Sie zu fragen, welche Geschichte Lenny, Ian und Stuart erzählt haben, aber wir glauben, dass Sie dem nichts weiter hinzufügen können.

CR: Ich möchte nicht weiter darauf eingehen, weil diese Jungs besser als ich wissen, wie die erste Tour war.

P: Okay, wir werden sie bei nächster Gelegenheit fragen.
Sie waren Sänger für das Alan Parsons Project von 1979 (EVE) bis zur Auflösung des Projects (GAUDI, 1987) und auch beim darauffolgenden FREUDIANA (1990). Haben Sie in all den Jahren eine Veränderung in der Beziehung zwischen Parsons und Woolfson bemerkt oder sind Ihnen während der Aufnahmen für FREUDIANA sogar Probleme zwischen Eric und Alan aufgefallen?

CR: Das ist eine persönliche Frage, aber ich denke, sie bedarf einer Antwort: Die Beziehung zwischen EW und AP war stets geschäftlicher Natur und niemals so eng wie eine persönliche Freundschaft. Ich denke, sie wussten, dass die Partnerschaft im Grunde genommen gut funktionierte und dementsprechend tolerierten sie die Eigenheiten des anderen für die Zeit der Aufnahme eines Albums. Wir (die Band) waren uns immer eines Untertons (ist das das richtige Wort?) im persönlichen Einklang zwischen ihnen bewusst; und wenn wir die Gelegenheit hatten, miteinander abzuhängen, war Eric immer auf der Hut und Alan wahrte eine diskrete Distanz, obwohl wir von außen betrachtet viel Spaß und eine gute Zeit hatten.
Trotzdem kann ich verstehen, warum das so war: Diese Jungs waren sehr erfolgreich, und zum Erfolg gehört eine integrierte Mauer, um den Bullshit und die Goldgräber fernzuhalten. Das Problem ist, dass die Wand immer da sein muss, und da wir EW und AP nur gesehen haben, wenn ein Projekt aufgenommen wurde, hatten wir nie wirklich Gelegenheit, eine enge persönliche Bindung zueinander aufzubauen. Tatsächlich fühlte ich mich Eric näher, nachdem sie sich getrennt hatten, und ich genoss Alans Gesellschaft viel mehr, wenn auch er allein war.

P: Wie wir aus einem Interview mit Eric wissen, hatte er vor, Sie als Sänger in dem nie realisierten Projekt einer Studioversion des GAMBLER-Albums zu verpflichten. Hatten Sie bezüglich dieses oder Woolfsons anderer Soloprojekte Kontakt zu Eric?

CR: Ja, ich habe für die Bühnenshow alle Backing Vocals für GAMBLER gesungen – das Ergebnis habe ich mir immer noch nicht angehört. Eric hat die Studioversion mir gegenüber nicht erwähnt und ich traf ihn Ende letzten Jahres in London, als ich bei Abbey Road mit einem Japaner namens Hotei arbeitete (der in Großbritannien von Lenny Zakatek gemanagt wird). Ich war mit Haydn Bendall zusammen und wir trafen Eric zufällig auf dem Studiokorridor – das war eine große Überraschung und wir gingen entspannt etwas essen, weil es hier nicht um das APP oder EW ging – sondern nur um alte Freunde und wir beschlossen, in Kontakt zu bleiben – so, wie Sie es auch tun! Eric sagte, er arbeite an etwas – vielleicht war es die Studioversion von Gambler.

P: ...oder vielleicht sprach er über das Musical Poe, an dem er, wie wir wissen, arbeitet. Aber um auf GAMBLER zurückzukommen: Sie sagten, dass Sie alle Backing Vocals für die Show gesungen haben. Die einzige veröffentlichte Ausgabe (bis jetzt – und darüber hinaus in stark limitierter Auflage) ist die „Cast-Disc“, die die vorab aufgenommene Grundlage (die auch in der Show verwendet wird) mit der Überlagerung der im Theater live aufgenommenen Lead Vocals darstellt. Auf dieser CD tauchen Sie nicht in den Credits auf und es kommt uns nicht so vor, als ob Ihre Stimme zu hören wäre. Daher ist es wahrscheinlich, dass Eric die Aufnahmen Ihrer Backing Vocals für die Studioversion zurückgehalten hat (deren Veröffentlichung vor Ende 2000 angekündigt war, was aber nie geschehen ist). Wissen Sie vielleicht sonst noch etwas, das uns helfen könnte, dieses Rätsel zu lösen?

CR: Ja, es ist mir auch ein Rätsel; ich weiß nicht, was Eric mit meinen Aufnahmen gemacht hat. Ich werde meinen Freund Haydn Bendall fragen, der all diese Sessions für Eric aufgenommen hat und mich diesbezüglich wieder bei Ihnen melden.

P: Sie sind ein langjähriger Weggefährte von Parsons. Sind Ihnen Diskrepanzen zwischen der Arbeit mit dem Project und der Arbeit mit Alan, Ian und Stuart für THE TIME MACHINE aufgefallen?

CR: Es hängt davon ab, wie Sie „Diskrepanz“ definieren. Die offensichtlichste Veränderung war der Mangel an (großem) Erfolg, den beide Männer nach der Trennung hatten. Die Trennung von Bands ist ein Risiko im Musikgeschäft – das wissen wir, und Eric und Alan bilden da keine Ausnahme: Große Hits, große Erfolge, große Scheidung. Abgesehen davon glaube ich, dass Eric eher traditionelleren Schaffensformen folgen wollte und ich denke, dass er durch die Lloyd-Webber-Erfolge und das plötzliche Interesse Deutschlands an großen Musicalproduktionen angespornt wurde. Alan hatte vermutlich auch einen „Lagerkoller“. Als er mit dem APP auf Tour ging, war ich genauso überrascht wie alle anderen. Allerdings glaube ich, dass dieser Schritt einfach zu spät kam, um vergangene Erfolge wieder aufleben zu lassen. Meiner Meinung nach sollten sie wie verheiratete Paare für eine „Probezeit“ wieder zusammenkommen und ein weiteres Project ins Leben rufen – das Leben ist zu kurz. Immerhin ist das APP nun offiziell eine „Legende“, da es bei den Simpsons erwähnt wurde.

P: Würden Sie Alan und die Band gerne auf einer Tour begleiten wollen? Hat Alan Ihnen das jemals vorgeschlagen? Welche Project-Songs würden Sie besonders gerne live performen?

CR: Weder Alan noch Eric haben mich jemals gebeten, mit auf Tour zu gehen, sei es für Promotion-Zwecke oder anderes. Ich würde gerne ein paar Live-Sachen machen, wenn sich die Gelegenheit ergibt und die Songs, bei denen ich solo gespielt habe, überarbeiten.

P: Aus einem Interview mit Alan wissen wir, dass Sie auf seinem neuen Album dabei sein werden. Wissen Sie schon, ob Sie als Leadsänger oder nur als Backgroundsänger mitwirken werden? Wissen Sie vielleicht ungefähr, worum es auf dem neuen Album gehen wird?

CR: Nun, da wissen Sie mehr als ich – ich habe von Alan nichts von einer neuen APP gehört; vielleicht denkt er noch darüber nach! Ich habe ein paar Sachen für THE TIME MACHINE gemacht, aber das war 1999.

P: Dann erhalten Sie vielleicht bald einen Anruf von Alan. Wir hoffen sehr, dass Sie auch als Leadsänger an seine Seite zurückkehren!

CR: Ja, natürlich wäre ich begeistert, an einem weiteren Project-Album-Abenteuer mitzuwirken; in Zeiten digitaler Manipulationen ist die Live-Aufnahme von Musikern aus Fleisch und Blut eine der letzten Grenzen.

P: Jetzt bleibt mir nur noch, Ihnen herzlich dafür zu danken, dass Sie uns dieses lange Interview ermöglicht haben und Ihnen eine Zukunft voller erfolgreicher Projekte zu wünschen. Wir freuen uns auf Ihre beiden kommenden Alben und wären begeistert, Sie bald in Italien auf Tour oder vielleicht als unseren Ehrengast bei einem unserer Treffen begrüßen zu dürfen. Das nächste wird im kommenden Frühjahr in Rom stattfinden, der Stadt vieler Fellini-Filme.

CR: Ich würde tatsächlich gerne zu Ihrem Treffen nach ROMA reisen. Ich glaube, dass Schotten und Italiener viele Gemeinsamkeiten haben, einschließlich großer künstlerischer Energien. Das bezeugen Fellini und Nino Rota. Wenn genug Leute mein Album kaufen, würde ich mir einen Ferrari anschaffen!! Ich danke Ihnen allen für Ihre freundlichen Worte und die Wertschätzung meiner Arbeit – das bedeutet mir sehr viel.

P: Also, wie wir Project-Fans sagen... UNTIL THE NEXT TIME…

CR: In Schottland sagen wir: „I'm no awa' tae bide awa' “ (Ich werde nicht lange von dir fernbleiben). CIAO!!