INTERVIEW MIT CHRIS THOMPSON
 
Fragen von Francesco Ferrua, Stefano Viezzoli und Lorenzo Zencher
...mit Beteiligung von Dario Pompili.

Interviewführung: Francesco Ferrua

Deutsche Übersetzung aus dem Englischen von Ingo Brönstrup


 

Parsons Day: Fangen wir von vorne an: Was ist Ihr musikalischer Background? Welche Eindrücke und welchen musikalischen Geschmack haben Sie in Ihren frühen Jahren vermittelt bekommen?

Chris Thompson: Die erste Musik, an die ich mich erinnere, war das Singen von Kirchenliedern und kurze Refrains im Kindergottesdienst. Da mein Vater starb, als ich noch sehr jung war und ich bei meinen Großeltern lebte, gab es in meinem Haus weder Radio noch Fernsehen noch andere Musik. Als ich 12 Jahre alt war, hörte ich Rockabilly-Musik bei einem Freund und liebte sie, aber dann kam ich in ein Musikgeschäft und hörte …I Saw Her Standing There …von den Beatles …und das war’s, ich war angefixt, bekam eine Gitarre und begann zu spielen und zu singen. Musikalische Einflüsse waren Sam und Dave, Wilson Pickett, The Four Tops, Joe Cocker, The Beatles und die Rolling StonesThe Kinks, Manfred Mann, Blood Sweat and Tears und Chicago.

PD: Nachdem Sie Neuseeland verlassen hatten, zogen Sie zurück nach England und traten nur ein Jahr später der frühen Manfred Mann's Earth Band bei. Wie kamen Sie mit Mann in Kontakt und wie ist Ihre derzeitige Beziehung zu ihm?

C.T.: Ich antwortete auf eine Anzeige im „Melody Maker“ in der ein Leadsänger gesucht wurde …es war MMEB und ich bekam den Job nach ein paar Vorsprechen und Probeaufnahmen. Manfred und ich sind gute Freunde. Ich arbeite derzeit an ein paar Songs für ihn.

PD: Schließlich begannen Sie 1983 mit dem Album OUT OF THE NIGHT Ihre Solotätigkeit. War es schwierig, sich in der Musikindustrie als Solokünstler durchzusetzen, oder wurde Ihnen der Weg bereits durch Ihren guten Ruf geebnet, den Sie sich durch die Zusammenarbeit mit mehreren anderen Künstlern erarbeitet hatten?

C.T.: Es ist immer schwer, eine Solokarriere zu starten, deshalb war das erste, was ich außerhalb von MMEB gemacht habe, Night, eine Band zusammen mit Stevie Lange.
Ich denke, Glück spielt ebenso eine wichtige Rolle, wie das richtige Lied zur richtigen Zeit zu finden. Zum Beispiel hätte auf meiner Soloplatte HIGH COST OF LIVING You're the Voice enthalten sein sollen, aber den Leuten bei der Plattenfirma gefiel der Song nicht!!

PD: 1992 haben wir Ihren Beitrag zum emotionalen Tribute-Konzert zu Ehren von Freddie Mercury gesehen. Sie waren sowohl an der Organisation als auch auf der Bühne beteiligt. Was genau waren Ihre Aufgaben als Veranstaltungsleiter?

C.T.: Ich habe vor der Show vier Wochen lang mit der Band zusammengearbeitet, alle Songs geprobt, da die Künstler nicht die ganze Zeit vor Ort sein konnten, und den gesamten Backgroundgesang usw. arrangiert. Ich sollte Kind Of Magic auf dem Konzert singen, aber irgendwie wurde es fallengelassen!! Es war ein sehr enttäuschender Tag für mich.

PD: Damals sagte jemand, dass das Tribute-Konzert auch eine Art Vorsprechen sei, um den möglichen Nachfolger von Mercury als Queen-Sänger auszuwählen. George Michael und Roger Daltrey schienen die wahrscheinlichsten Kandidaten zu sein. Sie waren einer der Verantwortlichen für das Konzert: Was können Sie uns zu dieser Vermutung sagen? Und haben Sie je daran gedacht, sich als Mercury-Nachfolger zu bewerben?

C.T.: Nein. Das Tribute war nur ein Tribute-Konzert. Niemand konnte Freddies Nachfolger sein, er war einfach der Beste.

PD: Erzählen Sie uns etwas über das SAS Band-Projekt…

C.T.: Die SAS Band ist eine Gruppe von Musikern und Sängern, die unterwegs sind und Spaß daran haben wollen, das zu tun, was wir lieben: auftreten. Es ist immer ein großes Vergnügen. Spike Edney, der musikalische Leiter, ist der Beste darin, so etwas auf die Beine zu stellen (er war musikalischer Leiter beim Tribute-Gig). Keine Egos …nur großartige Sänger …tolle Songs …eine Menge Spaß und: Wir wurden bezahlt!!!

PD: Sie haben mit vielen Künstlern zusammengearbeitet, darunter Elton John, The Doobie Brothers, Tina Turner, Ray Charles, Brian May und vielen anderen, sowie dem bereits erwähnten Manfred Mann und natürlich Alan Parsons. Welche dieser Erfahrungen hat Sie am stärksten geprägt und von welchem ​​Künstler haben Sie Ihrer Meinung nach am meisten gelernt?

C.T.: Ich denke, die Zusammenarbeit mit Elton hat die größten Spuren hinterlassen, weil er ein so unglaublicher Sänger, Songwriter und Pianist ist. Die Zusammenarbeit mit ihm war eine wunderbare Erfahrung. Ich glaube, ich habe von Manfred am meisten gelernt, da wir so lange zusammengearbeitet haben. Seine Fähigkeit, durchzuhalten und aus einem gewöhnlichen Song einen Hit zu machen, ist unübertroffen.

PD: Alan Parsons und Mike Oldfield sind zwei Künstler, die in der Vergangenheit schon oft von Musikkritikern direkt verglichen wurden. Sie haben mit beiden zusammengearbeitet. Welche Unterschiede sind Ihnen bei der Arbeit mit Parsons und Oldfield aufgefallen?

C.T.: Tatsächlich sind sie sich in ihrer Arbeitsweise sehr ähnlich.

PD: Wann haben Sie Alan Parsons zum ersten Mal getroffen und wie kam es dazu, dass Sie für das Album TRY ANYTHING ONCE engagiert wurden? Wie lange haben die Aufnahmen dazu gedauert?

C.T.: Alan bekam meine Nummer, rief an und fragte mich, ob ich Turn It Up singen wollte, und ich war begeistert …also sagte ich ja. Ich habe etwa eine Woche an dem Projekt gearbeitet.

PD: Glauben Sie, dass die Zusammenarbeit mit einem Toningenieur und Produzenten von Alans Kaliber die Art und Weise beeinflusst hat, wie Sie Ihre eigenen Alben angehen?

C.T.: Nein …ich denke nicht darüber nach, was andere Leute tun, wenn ich an meinen eigenen Sachen arbeite.

PD: Hatten Sie die Gelegenheit, zu entscheiden, welche Stücke Sie singen wollten, als Sie 1994 zum ersten Mal mit der Alan Parsons-Band auf Tournee gingen? Welche AP-Songs haben Sie am liebsten live gespielt?

C.T.: Nun, ich sang die Lieder, die ich aufgenommen hatte, und dann schauten wir uns die Liste der Songs an, die Alan machen wollte, und entschieden, welche für meine Stimme am besten geeignet wären, und experimentierten natürlich bei den Proben mit den Songs und tauschten sie sogar währenddessen aus. Am liebsten sang ich Turn It Up, aber auch La Sagrada Familia und Don't Answer Me gefielen mir.

PD: Haben Sie Parsons vorgeschlagen, You're The Voice auf seinem Album THE VERY BEST LIVE zu veröffentlichen oder war das seine Idee? Wussten Sie bereits, dass es auch eine italienische Version dieses Songs mit dem Titel La Scuola dei Serpenti (ital.: „Die Schlangenschule“) gibt, das 1995 von Matia Bazar veröffentlicht wurde?

C.T.: Ja, das italienische Cover war mir bekannt. Wir haben You're The Voice live auf der Tour gespielt und dann sang ich es beim Konzert in Arnheim zur Feier des Endes des Zweiten Weltkriegs. Damals wurde es aufgenommen und so kam es auch auf das Live-Album. Alan gefiel das Lied und er schlug vor, es live zu spielen.

PD: 120.000 Zuschauer besuchten 1995 das beeindruckende World Liberty Concert, bei dem Sie das energiegeladene You're The Voice sangen …was bedeutet es für Sie, vor so vielen Menschen aufzutreten?

C.T.: Das war großartig, ein fantastisches Konzert. Allerdings war es für mich schwierig, da ich als letzter dran war und meine Energie auf das Niveau des Publikums bringen musste, aber ich denke, es war ein großer Erfolg. Als alle zu Beginn des Liedes anfingen zu singen, war das für mich eine große Überraschung und sehr berührend.

PD: Und nach Ihrem Auftritt beim World Liberty Concert begleiteten Sie Alan auf der Welttournee, der letzten Tournee mit Andrew Powell in der Besetzung. In einem Interview sagte Alan, dass Andrew nicht gerne auf Tour ging. …sind Ihnen aus Ihrer Sicht jemals Meinungsverschiedenheiten zwischen Alan und Andrew aufgefallen? Aus der Sicht des Publikums wirkte die AP Band immer wie eine eingeschworene Gemeinschaft …war das wirklich auch so, wenn man die Bühne verlassen hatte?

C.T.: Hey, unterwegs ist es schwierig, stets zurechtzukommen, aber es war eine gute Tour. Andrew ist ein fantastischer Musiker. Ich glaube, das Touren fiel ihm schwer, weil er plötzlich von seiner Familie getrennt war (wie alle anderen auch!!), aber wir hatten viel Spaß.

PD: Auch Ihr kraftvolles Duett mit Sarah Brightman für das Album FLY wurde von Parsons aufgenommen. Haben Sie besondere Erinnerungen an dieses Erlebnis? Wissen Sie, bei welchen anderen Titeln auf diesem Album Alan als Toningenieur tätig war?

C.T.: Ich erinnere mich nur an die Tonhöhe des Songs!!

PD: Stehen Sie noch mit Alan in Kontakt? Gibt es eine Chance, Sie wieder zusammen zu sehen? Vielleicht mit Alan als Toningenieur oder Produzent Ihres nächsten Albums…

C.T.: Ich habe Alan eine Weile nicht gesehen, er hat mich gebeten, bei der Tribute to Abbey Road-Tour dabei zu sein, aber ich war zu diesem Zeitpunkt bereits mit Arbeit ausgelastet.

PD: Vielleicht wissen Sie bereits, dass Alan seine Band aufgelöst hat und sich nun der zeitgenössischen elektronischen Musik widmet. Haben Sie in der Zeit, die Sie mit ihm im Studio und unterwegs verbracht haben, jemals seinen Wunsch gespürt, ein neues Musikgenre in Angriff zu nehmen und dabei Anregungen der neuen elektronischen Welle und von Künstlern wie Massive Attack oder den Chemical Brothers zu übernehmen?

C.T.: Nein.

PD: Nach all den Jahren des Wartens ist Michael ErnstsThe Excalibur Project“ endlich bereit zur Veröffentlichung. Wir hatten die Gelegenheit, ein Vorabexemplar dieses Albums zu erhalten; eines Albums, an dem Sie mitgeschrieben und bei dem Sie auch gesungen haben, und wir sind wirklich der Meinung, dass es sehr gelungen ist. Wann haben Sie begonnen, sich darin einzubringen? Scheinbar hat Alan Ihre Sessions nicht aufgenommen, hatten Sie trotzdem die Gelegenheit, sich während dieser langwierigen Arbeiten zu treffen?

C.T.: Ich traf Michael und Andreja Ernst bei einem MMEB-Konzert und sie baten mich, bei einigen englischen Texten für das Projekt behilflich zu sein. Ich bin dann nach Österreich gegangen, um ein paar Vocals aufzunehmen und habe am Ende, glaube ich, fünf Songs eingesungen. Ich habe nicht mit Alan aufgenommen. Die Arbeit an dem Projekt hat großen Spaß gemacht und der andere Autor, Johnny Bertl, ist ein großartiger Texter und Arrangeur.

PD: Haben Sie noch Kontakt zu Michael? Sind Sie auch an der Veröffentlichung des vom Album inspirierten Musicals beteiligt?

C.T.: Ja, ich rede oft mit Michael. An dem Musical bin ich aber nicht beteiligt.

PD: Was können wir von CT in nächster Zukunft erwarten? Mit welchem ​​Künstler, mit dem Sie noch nie zusammengearbeitet haben, würden Sie gerne zusammenarbeiten?

C.T.: Ich habe ein neues Projekt in Planung, eine Art Konzept-CD und DVD mit Musik usw., inspiriert von Neuseeland. Wir werden im März dorthin fahren, um aufzunehmen. Ich würde mich freuen, wenn Aretha Franklin eines meiner Stücke singen würde.

PD: Sie haben immer abwechselnd als Sänger, Gitarrist, Komponist und sogar als Veranstalter gearbeitet. Welche dieser Aktivitäten hat Ihnen am meisten Freude bereitet? Was würden Sie gerne tun, was Sie in Ihrer langen Karriere noch nie getan haben?

C.T.: Eigentlich bin ich Sänger, das ist meiner Meinung nach das, was ich am besten kann. Ich würde gerne eine tolle junge Band entdecken... ihnen helfen, ein paar Hits zu schreiben... das Album produzieren, mit ihnen auf Tour gehen und einfach Spaß haben!!!

PD: Kürzlich haben Sie Ihr persönliches Anthologiealbum (BACKTRACK) veröffentlicht, das Ihre gesamte Karriere umfasst. Was war das Kriterium bei der Auswahl der Songs?

C.T.: Einfach Lieder, die mir wirklich gefallen haben.

PD: Was möchten Sie uns über Ihr neues Album erzählen?

C.T.: Ich liebe WON'T LIE DOWN... Es ist das einzige Album, das ich gemacht habe, das ich gerne höre und bei dem ich mitsinge. Mein Lieblingstitel ist Dust in the Light; ich wünschte, er würde Teil eines Soundtracks werden. Ich denke, das Album hat viel Kraft, Gefühl und Energie.

PD: Wie viele andere Künstler haben Sie Ihre offizielle Website, auf der Sie den Verkauf Ihrer Alben verwalten und auf der wir zwei Ihrer Alben vollständig im mp3-Format herunterladen können (BEAT OF LOVE und HIGH COST OF LIVING). Was denken Sie über das Internet, hilft es der Musik oder macht es sie kaputt?

C.T.: Ich denke, das Web ist großartig für neue Künstler. Vermutlich schadet es Leuten wie Madonna, aber diese haben sowieso genug Geld. Wenn jemand etwas herunterlädt und es ihm gefällt und er es seinen Freunden vorspielt, wird irgendwann jemand anderes etwas von deiner Musik kaufen. Natürlich müssen wir Musik verkaufen, um zu überleben und um unsere Urheberrechte zu schützen... Ich bin mir sicher, dass schlussendlich alles funktionieren wird.

PD: Wir möchten Sie mit einer Frage verabschieden, von der wir wirklich hoffen, dass Sie sie positiv beantworten: Wird es möglich sein, Sie eines Tages hier in Italien zu sehen?

C.T.: Hey... ich würde gerne nach Italien kommen... schauen Sie, ob Sie es möglich machen können!!!

--OKTOBER/NOVEMBER 2002--

 



Wir möchten Chris Thompson und seiner persönlichen Sekretärin Allegra Ringo für ihre Verfügbarkeit und Freundlichkeit herzlich danken.

Die offizielle Website von Chris ist erreichbar unter:
http://www.christhompson-central.com